Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeitspräferenz in der Praxis

Natürlich wollen alle nachhaltig sein. Alle! Doch sofern man den Umfragen und Statistiken glaubt, fließen bei Banken nur 20 bis 30 Prozent des angelegten Privatvermögens in nachhaltige Produkte. Ein Widerspruch? Hier nun der Versuch, zu moderieren, bevor der Mediator kommt.

Ein Bild von Andreas Oelerich
Von Andreas Oelerich
Die EU hat 2018 die Richtlinie zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums publiziert. Demnach müssen Privatkunden nun die Frage beantworten, ob sie wünschen, dass bei ihrer Vermögensberatung auch Aspekte der Nachhaltigkeit berücksichtigt werden sollen. Folgt man den Angaben von Banken und Finanzdienstleistern wollen die meisten Kunden genau das nicht.

Früher hatten die Berater gemäß WPHG eine Finanzanalyse durchzuführen, um den Sorgfaltspflichten gegenüber ihren Kunden gerecht zu werden. Schon das war für sie eine beachtliche Herausforderung, insbesondere wegen des damit einhergehenden Verwaltungsaufwandes bei steigendem Kostendruck, doch wenigstens hat es im Großen und Ganzen funktioniert.

Die sicherlich gut gemeinte zusätzliche Berücksichtigung der Nachhaltigkeit entpuppt sich wegen der damit verbundenen immer umfassenderen rechtlichen Vorgaben nun aber als wahres Verwaltungsmonster. Schien es anfangs „nur“ darum zu gehen, den WPHG-Bogen im Sinne der Rendite und des Risikos zu beachten, müssen sich die Berater heute mit einer sehr komplexen Thematik sowie einer oftmals sehr komplizierten und unverständlich formulierten Rechtsprechung herumschlagen. Im Beratungsgespräch lässt sich das nur schwer kommunizieren.

Wer Nachhaltigkeit will, soll nun auch noch Mindestquoten benennen. Die an Nachhaltigkeit interessierten Kunden irritiert jedoch, dass sich ihre Idealvorstellungen nicht realisieren lassen. Fonds mit einer belastbaren Nachhaltigkeitsquote von 100 Prozent wird es angesichts der Komplexität so schnell nicht geben. Kommunikations- und Verständnisprobleme sind auch deswegen vorprogrammiert.

Nachhaltigkeit nicht relevant?

Dazu tragen auch die vielen neuen Begriffe wie beispielsweise „Nachhaltigkeitspräferenzen“, „Nachhaltigkeitsprofile“, „Nachhaltigkeitsfaktoren”, „ESG“, „SDG“, „Impact“, „Nachhaltigkeitsindikatoren”, „nachteilige Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit” bei, zumal die einzelnen Kriterien häufig Spielräume für subjektive Einschätzungen lassen. Die Frage, ob die Nachhaltigkeit in die Vermögensberatung einbezogen werden soll, kann man nicht nur mit „Ja” oder „Nein” beantworten. Es gibt auch die Antwort „nicht relevant”.

Falls eine Kundin nun „nicht relevant” angibt, kann sie zu allen Produkten beraten werden – inklusive der nachhaltigen. Das vereinfacht die Sache ungemein, weil die Beraterin nun restriktionsfrei arbeiten kann und alle Freiheiten hat, die Kundin wirklich sinnvoll zu beraten.

Der Unterschied

Wer „Ja” angibt, soll nur noch Produkte empfohlen bekommen, die als nachhaltig gelten (sonst wird es kompliziert). Die Auswahl der Produkte ist damit natürlich erheblich geringer.

Wer „Nein” angibt, schließt explizit Nachhaltigkeit aus. Aber das will natürlich keiner protokolliert wissen und ist deshalb keine wirkliche Option.

Das „Nicht relevant” erscheint somit als beste Alternative, denn es erhöht die Effizienz und Effektivität im gesamten Beratungsprozess. Aussagekräftige Statistiken zur Frage, ob Kunden die Nachhaltigkeit präferieren oder nicht, lassen sich so allerdings nicht generieren.

Umso positiver stimmt da der rasante Zuwachs an nachhaltigen Finanzprodukten – auch wenn er im Widerspruch zu den angeblichen Erfahrungen der Banken steht. Das „Greenwashing“ vieler Fondsgesellschaften, die nur aus Marketinggründen ein bestimmtes Logo haben wollen, klammern wir an dieser Stelle einmal aus.

Unter dem Strich ist zu befürchten, dass sich die Bankenaufsicht und die Politik mit der Richtlinie zur Nachhaltigkeit in der Vermögensberatung selbst ein Bein gestellt haben: Wer ernsthaft daran interssiert ist, mehr Nachhaltigkeit in die Finanzierung der Wirtschaft zu bringen, sollte es den Beratern und ihren Kunden möglichst einfach machen. Die Produkte müssen bei wirklich allen ankommen und von allen verstanden werden, sonst werden Investitionen nicht in die gewünschte Transformation gelenkt. Was sollte das Konvolut der EU-Taxonomie noch einmal bezwecken?
Diesen Artikel teilen:

Mehr Artikel zum Thema